Die Bilder meines Vaters
Die Bilder meines Vaters sind Symphonien in Gelb und Blau, strahlend hell. Vollkommene Versunkenheit im kosmischen Geschehen. Freude. Licht. Mächtige magische Musik. Energie in Bewegung. Der Glanz der Innenwelt nach außen übersetzt. Farbmeditation. Vielfalt.
Mein Vater mit dem Pinsel, mein Vater der Be-geist-erte, der es verstand, seine Faszination für die Kunst anderen auch mitzuteilen. Mit Farben, aber auch mit Worten. Meine Kindheit war voll von Bildern, an allen Wänden waren sie im ganzen Haus. Sein bescheidenes Atelier im Keller meines Elternhauses war Zauberland – voll mit Freude an schönen Dingen, Farben, Bildern, Ausschnitten aus Zeitschriften für seine Collagen.
„Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist schon im Kommen. An einem ruhigen Tag kann ich sie schon atmen hören.“
Dieser Satz stammt von Arundhati Roy, einer indischen Schriftstellerin und politischen Aktivistin. Diese andere Welt – dessen bin ich sicher – existiert schon, aber nicht alle können sie sehen. Künstler konnten diese Welten immer schon besser spüren. Und nichts braucht die Menschheit heute dringender als Boten, die von dieser „anderen Welt“ künden, die wir alle in unserem Inneren tragen.
Kunstwerke als Fenster in innere Welten brauchen keinen Kommentar und keine Erklärung. Und doch regen sie an, sich mit den verschiedensten Dimensionen zu beschäftigen.
Ewald Walser, ein österreichischer Maler und Grafiker, hat einmal geschrieben: „Ich zeichne, um mich selbst zu erfahren, zu entdecken – als Archäologe meiner selbst.“
In diesem Sinne haben Maler und Schreibende einiges gemeinsam. Denn auch schreibende Weltbetrachtung ist immer in gewisser Weise archäologische Forschung an sich selbst. Kreativ gestaltend spüren schöpferische Menschen nach, woher wir gekommen sind und umkreisen die große Frage, wer wir tief innen wirklich sind.
Funktionieren kann das alles nur, wenn die Werke in den Betrachtenden bzw. in den Leser/-innen Resonanzen zum Klingen bringen.
Wir sind Teil des Spinnennetzes Welt. Wenn es erzittert, schwanken wir alle. Wir sind radikal miteinander und mit allen Dingen verbunden. Menschen sind wie Inseln – unter der Wasseroberfläche über den Meeresgrund verbunden. Kollektive Mythen, entstanden durch unsere Äonen alte Geschichte, haben sich in unsere DNA eingeschrieben. Sie bilden den gemeinsamen Boden, auf dem wir alle stehen und machen es möglich, Kunstwerke zu verstehen, ohne sie erklären zu müssen.